Kein nervender Vorgesetzter, keine anstrengenden Kollegen, kein Kampf um die besten Urlaubstage: Freiberufler haben es gut, oder? Doch das Fehlen eines Teams kann auch Schattenseiten haben. Was hilft.
Freiberufler wissen genau, warum sie als „selbstständig“ bezeichnet werden: Weil sie „selbst“ und „ständig“ arbeiten, so zumindest ein verbreiteter Spruch. Allerdings mit dem Vorteil, ihr eigener Chef zu sein. Täglich allein und auf sich gestellt im Job zu stehen, kann aber auch Nachteile haben. „Das Gefühl der Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen unter Freiberuflern. Sie stehen vor vielen Herausforderungen, die Festangestellte nicht haben“, sagt die Hamburger Arbeitspsychologin Ragnhild Struss.
Dazu zählen nicht nur Verwaltungsaufgaben, die normalerweise Personalabteilungen und Buchhaltungen übernehmen. Für Freiberufler fallen in der Regel auch die alltäglichen Begegnungen im Büro oder der Kaffeeküche weg. „Vor allem extravertierte Menschen, die Energie aus dem Kontakt mit anderen ziehen, werden alleine in ihrem Arbeitszimmer nur schwer dauerhaft zufrieden sein“, so die Karriereberaterin.
Vom Branchen-Stammtisch zum geteilten Büro
Doch es gibt Möglichkeiten, trotz einer freiberuflichen Tätigkeit unter Menschen zu kommen. Der Münchner Diplom-Psychologe und Professor für Wirtschaftspsychologie Florian Becker rät etwa dazu, ganz gezielt Veranstaltungen und Business-Coachings für Selbstständige und Gründer zu besuchen, wie sie beispielsweise von Hochschulen oder Unternehmerverbänden angeboten werden.
Auch Branchen-Stammtische, Workshops oder Netzwerktreffen, ob digital oder analog in der eigenen Stadt, können nach Ansicht von Ragnhild Struss helfen, sich mit Personen zu vernetzen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Und die wissen, wovon man spricht. „Im besten Fall bekommt man dort nicht nur praktische Tipps, sondern auch Verständnis. Und vielleicht finden sich hier sogar neue Kontakte für regelmäßigen Austausch, der beide Seiten bereichert.“ Nicht zuletzt diene dies auch der Bewältigung von Stress oder Einsamkeitsgefühlen, so Struss.
Sie empfiehlt zudem die Methode des Job-Crafting, nach der jeder seinen Job so gestalten kann, dass er besonders gut zur eigenen Persönlichkeit passt. „Wer herausgefunden hat, dass er den Kontakt zu Menschen braucht – und zwar nicht nur über Mail oder Zoom -, um motiviert und zufrieden arbeiten zu können, der kann auch in der Freiberuflichkeit aktiv für Gesellschaft sorgen“, so Struss. Etwa mit einem Co-Working-Arbeitsplatz oder einem geteilten Büro, in dem man tageweise mit anderen zusammenkommt.
Private Kontakte pflegen
Manchem hilft vielleicht schon der Kontakt zur Außenwelt bei der Arbeit an öffentlichen Orten wie einem Café oder in einer Hotellobby. Und manchmal genügt an Austausch auch die Verabredung zum Mittagessen oder gemeinsamer Sport nach der Arbeit. „Als Freiberufler ist es extrem wichtig, sich selbst gut strukturieren zu können. Das betrifft auch die sozialen Kontakte über die Arbeit hinaus“, sagt Ragnhild Struss.
Doch es gibt auch Freiberufler, die irgendwann an ihr Limit kommen, die merken, dass sie es nicht schaffen und sich ständig überfordert und einsam fühlen. „Wichtig ist, dann loslassen zu können“, sagt Florian Becker. „Und sich ehrlich einzugestehen, wie lange ich noch in etwas investieren möchte, das vermutlich keine Aussicht auf Erfolg hat.“
Grund zur Scham sollte das nicht bringen: „Wenn man bedenkt, dass etwa zwei Drittel der Freiberufler ihre Selbstständigkeit in den ersten Jahren wieder aufgeben, ist es sogar normal, dass du scheiterst“, sagt der Professor für Wirtschaftspsychologie.
Zurück zu Kollegen?
Loslassen kann auch bedeuten, Reflexionszeiten zu nutzen und beruflich vielleicht in eine ganz andere Richtung zu gehen. Etwa, indem man sein Wissen und seine Kontakte nutzt, die man als Selbstständiger erworben hat, und in ein Unternehmen wechselt.
Ragnhild Struss glaubt, dass man auch nach einem Zurück ins Angestelltenverhältnis wieder glücklich werden kann: „Wer eine konkrete Vorstellung davon hat, was er braucht, um mit seinem Job zufrieden zu sein, der kann gezielt darauf einwirken, dass in der neuen Position die Vorteile von Freiberuflichkeit und Festanstellung kombiniert werden.“
In der Praxis könne dies etwa in eine Mischung aus Bürotagen inklusive Austausch mit Kollegen, regelmäßiger Tätigkeit im Homeoffice und in vereinzelte Team-Treffen nach der Arbeit münden.
Katja Sponholz/ dpa
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