Minimalistischer Lebensstil ist Pflicht

Raus aus dem Arbeitsleben und nur noch tun, wonach einem der Sinn steht. Das wünschen sich einige Menschen. Sogenannte „Frugalisten“ wollen das mit Extremsparen schaffen.

Sparen, sparen, sparen. Das ist der Kern des FIRE-Prinzips. Die vier Buchstaben stehen für Financial Independence, Retire Early. Übersetzt bedeutet das: Finanzielle Unabhängigkeit gewinnen, um früh aus dem Job auszusteigen. Der Trend kommt aus den USA, in Deutschland heißt er Frugalismus.

Wer ihm folgt, hat ein ehrgeiziges Ziel: Möglichst schon mit Mitte 40 so hohe Rücklagen zu besitzen, dass es auch ohne Gehalt für den Rest des Lebens reicht. Damit das klappt, wird vorher möglichst viel Geld angesammelt. „Die Ausgaben werden zugunsten einer hohen Sparrate auf ein Minimum beschränkt“, erläutert Finanzexperte Ralf Scherfling von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Sie viel wie möglich auf die hohe Kante legen

Super-Sparer verzichten zum Beispiel auf Dinge, die sie für nicht unbedingt notwendig halten. Etwa Urlaubsreisen und Restaurantbesuche. Spontan- und Spaßkäufe von Kleidung, Mobiltelefonen oder Büchern passen ebenfalls nicht zum genügsamen Ansatz sämtliche Ausgaben zugunsten der Sparquote zu drosseln. Diese Rate bestimmt jeder individuell – in Blogs berichten Frugalisten von bis zu 70 Prozent ihres Monatseinkommens. Zum Vergleich: Die Sparquote der Haushalte in Deutschland beziffert das Statistische Bundesamt auf im Schnitt nur rund elf Prozent.

Doch nicht jeder kann überhaupt so viel sparen wie manche Frugalisten. „Tendenziell ist das eher für Menschen mit höherem Einkommen denkbar“, sagt Scherfling. Denn wer mehr verdient, verfügt nach Abzug von Steuern und Kosten auch über mehr Liquidität, um in die finanzielle Unabhängigkeit zu investieren. Für Geringverdiener ist das in der Regel nicht möglich. Zudem sind junge Menschen im Vorteil. Bei gutem Einstiegsgehalt bleibt ihnen länger Zeit zum Sparen als älteren Arbeitnehmern.

Nach dem Jobausstieg vom Ersparten leben

Frugalisten wollen ihr Vermögen so mehren, dass sie beim Einstieg in den Ausstieg ausschließlich vom Ertrag leben können. Und zwar bis zum Tod. „Als Faustregel gelten vier Prozent Ausschüttung pro Jahr“, sagt Arthur Wilm. Er arbeitet als vom bayerischen Verbraucherministerium anerkannter Trainer für Verbraucherbildung für verschiedene Bildungseinrichtungen.

Konsequentes Weglegen genügt für das Vorhaben nicht. Vielmehr muss das überschüssige Geld angelegt werden und wachsen – bis der Kapitalstock die entsprechende Größe erreicht. Die Rede ist vom 25-fachen dessen, was jährlich ausgegeben wird.

Wilm verdeutlicht das an einem Beispiel: Braucht jemand 25 000 Euro im Jahr zum Leben, müsste er oder sie bis zum Ausstieg 625 000 Euro anhäufen. Dafür müssten 20 Jahre lang gut 2000 Euro monatlich beiseite- und zu durchschnittlich vier Prozent Rendite pro Jahr angelegt werden. Um den Lebensunterhalt langfristig aus dem Gewinn zu bestreiten, muss das Kapital nicht nur unangetastet bleiben, sondern auch die entsprechende Rendite abwerfen.

Rechnung mit Unbekannten

Nach Ansicht von Wilms enthält das Rechenmodell der Frugalisten einen gravierenden Fehler. „Es ist aus heutiger Sicht gedacht. In 20, 25 Jahren funktioniert es aber wahrscheinlich nicht mehr“, kritisiert er. Warum? Weil sich bis dahin vieles wandelt. Faktoren wie Inflation blieben außen vor. Außerdem familiäre, berufliche und gesundheitliche Veränderungen, die Lebensstandard und Sparrate beeinflussen.

Vor allem aber lasse die Betrachtung die steigende Lebenserwartung außer Acht. Das sei ein Problem bei der Frage, wie lange das Vermögen reichen soll: „Wenn ich nicht ans Kapital will, wird der Spielraum eng.“ Wilm kommt zu dem Schluss, dass das FIRE-Konzept nur mit Startkapital funktioniert. Ohne zum Beispiel ein Erbe oder einer Immobilie als Basis würden die meisten Normalverdiener nicht ans Ziel kommen.

Verzicht auf Kleinigkeiten verschafft finanziellen Spielraum

Das angesammelte Vermögen bis zum Tag X unberührt zu lassen, schaffen wenige. „Die Versuchung, irgendwann ans Geld zu gehen, ist groß“, sagt Arthur Wilm. Trotz Skepsis dem Frugalismus gegenüber findet er aber die Disziplin gut, mit der Super-Sparer jede Ausgabe hinterfragen.

Den Ansatz findet Wilm generell hilfreich für Verbraucher. Sparpotenzial steckt bereits in kleinen Dingen: Müssen es drei Kugeln Eis sein oder reicht eine? Und muss es der tägliche Kaffee to go inklusive Leberkäsesemmel oder Sandwich für mindestens fünf Euro sein? Wilm hat es ausgerechnet: Bei Verzicht bleiben im Jahr rund 1200 Euro mehr im Portemonnaie – so kann Genügsamkeit auch aussehen.

Wer den Berufsausstieg entsprechend dem Frugalisten-Trend anstrebt, braucht ein ausreichend hohes Einkommen, um überhaupt bei den Ausgaben knapsen und genügend Geld zurücklegen zu können. Das Rechenmodell enthält außerdem einige Unbekannte, während die Umsetzung viel Verzicht verlangt. Eventuell auf Kosten der Lebensfreude. Bei Frust im Job ist das Modell nicht unbedingt die beste Lösung. Wer den Schritt dennoch wagt, braucht Disziplin und einen Plan für das Leben nach dem Ausstieg.

Von Monika Hillemacher/ dpa

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